Die Leipziger Volkszeitung berichtet am Samstag (vom 12.3.2016) in einer umfangreichen Titelgeschichte (Autoren: Robert Nößler und Matthias Roth) über das anstehende Großverfahren vor dem Landgericht Leipzig gegen das über Jahre sehr erfolgreiche Leipziger Internetunternehmen Unister (einstmals 2200 Mitarbeiter, heute noch 1350).
Federführend gegen Unister ist die umstrittene Dresdner "Integrierte Ermittlungseinheit Sachsen", kurz INES, und zwar in Form von Oberstaatsanwalt und Gruppenleiter Andreas Günthel sowie Dr. Dirk Reuter, 42.
Angeklagte von Unister sind Unister-Gründer Thomas Wagner (37), Co-Gesellschafter Daniel Kirchhof (38) sowie der ehemalige travel24-Finanzchef Thomas Gudel (58) von der im Frankfurter Prime Standard notierten Unister-Tochter, der Travel24.com AG. Schon im Vorfeld des Mammutprozesses gegen Unister deuten allerdings staatsanwaltliche Ungereimtheiten auf die Komplexität des Verfahrens hin. Unister gehört mit heute 1350 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern immer noch zu den größten Internet-Unternehmen in Deutschland.
Konkret geht es bei dem nun anstehenden vieltägigen Gerichtsverfahren vor dem Landgericht Leipzig unter anderem um einen Vorwurf, wonach Unister angeblich fälschlicherweise eine Steuer an das Land Sachsen bezahlt habe, nicht aber an den Bund in Form einer Versicherungssteuer. Die Leipziger Volkszeitung (LVZ), welche nach eigener Auskunft Einblick in die Ermittlungsakten hatte, schreibt:
"Unister soll auf Online-Portalen wie ab-in-den-urlaub.de und fluege.de unerlaubt mit Reiserücktrittspolicen gehandelt und dafür keine Versicherungssteuern in Höhe von 1,3 Millionen Euro gezahlt haben. Stattdessen führte der Online-Reisevermittler aber rund 670.000 Euro an Umsatzsteuer ab. Kernfrage ist, ob es sich bei den Produkten 'Flexifly' (für Flüge) und 'Stornoschutz' (für Hotels) tatsächlich um Versicherungen handelte oder nicht."
Das heißt aber nichts anderes, als dass eben die Umsatzsteuer an das Land Sachsen bezahlt wurde, aber die vor dem Landgericht Leipzig nun klagende Integrierte Ermittlungseinheit Sachsen, welche an der Generalstaatsanwaltschaft von Sachsen in Dresden angeschlossen ist, der Meinung ist, nicht Sachsen hätte hier eine Steuer zugestanden, sondern dem Bund in Form einer Versicherungssteuer.
Weiter schreibt die LVZ, wonach bei einer Verurteilung wegen Steuerhinterziehung im schlimmsten Falle für die Betroffenen von Unister eine Haftstrafe drohen könne, wobei die Bezahlung der Umsatzsteuer an das Land Sachsen sich mildernd auswirken könne. Wagner, der Unister als BWL-Student in Leipzig mit 22 Jahren in Garagen-Start-Up-Manier und mit kaum Eigenkapital gegründet hatte, strebe jedoch einen Freispruch an.
Thomas Wagner galt über Jahre als Deutschlands Jung-Unternehmergenie und wird auch heute noch von vielen für seine unternehmerischen Leistungen bewundert. Bis 2010 lebte Wagner in einer Leipziger WG und gilt auch heute noch als sparsam bis geizig. Alles Geld, heißt es, was er mit Unister verdient habe, investiere er wieder in das Wachstum des Leipziger Unternehmens.
Richtig spannend ist aber, was die Leipziger Volkszeitung am Wochenende in Bezug auf die Dresdener Staatsanwälte und die Bafin weiter berichten: So schreibt die LVZ, wonach "ein Anhörungsschreiben der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (Bafin)… Unister bereits im August 2012 über die Einstufung der angebotenen Produkte als Versicherung informieren" hätte sollen. Doch dieses sei zurückgehalten worden.
In diesem Fall ebenfalls von Interesse ist: Kurz zuvor hatte im Juli 2012 die Zeitschrift Computer Bild aus dem Hause Axel Springer einen 8-seitigen umstrittenen Artikel über Unister publiziert mit der sinngemäßen Überschrift "Deutschlands größtes Abzock-Unternehmen". Den Artikel hatte Unister damals mit einer fast 20-seitigen Unterlassungs-Erklärungs-Aufforderung beantwortet. Einige der rund 80 deutschen Presse-Grossisten hatten diese Unterlassungserklärung auch unterschrieben und eine weitere Verbreitung der betroffenen Ausgabe des Springer-Blattes verneint.
Jedenfalls war Unister-Gründer Thomas Wagner in dem Artikel der Zeitschrift Computer Bild, wie viele auch heute noch meinen, auffallend maximal kriminalisiert worden.
Der Computer Bild-Artikel war parallel in der Online-Ausgabe der Springer-Zeitung "Die Welt" am 04. Juli 2012 inhaltlich sehr ähnlich übernommen worden und zwar unter der Überschrift "Die Machenschaften des Abzock-Imperiums Unister".
Ungewöhnlich: Der Autor des Unister-Artikels in der Computer Bild, Hans von der Burchard, war auch jener, der den Artikel in der Onlineausgabe von "Die Welt" publizierte. Federführend im Falle des Computer Bild Artikels sei aber im Hintergrund wohl, heißt es aus dem Umfeld von Unister, Alexander Krug, der damalige Chef vom Dienst der Computer Bild gewesen.
Schon damals hatten Gerüchte die Runde gemacht, Springer wolle Unister maximal schaden, um das über Jahre sehr erfolgreiche ostdeutsche Internet-Unternehmen später günstig übernehmen zu können. Heute setzt Unister immerhin rund 2 Milliarden Euro an vermitteltem Reiseumsatz um. Der Netto-Umsatz wird auf circa 400 Millionen Euro im Jahr geschätzt.
Nach bisherigen weiteren Gerüchten könnte die Computer Bild auch während des anstehenden Gerichtsprozesses im Landgericht Leipzig noch eine Rolle spielen.
Jedenfalls schreibt die LVZ weiter über die Frage, ob Unister nun eine Versicherungssteuer hätte bezahlen müssen oder nicht:
"Bei unterschiedlichen Ansichten hätte ein Finanzgericht entscheiden können. Doch das Dokument wurde auf Bitten der Generalstaatsanwaltschaft zurückgehalten, um die Ermittlungen nicht zu gefährden, wie es offiziell hieß. Eine Bafin-Mitarbeiterin machte darüber einen Aktenvermerk, der LVZ.de vorliegt: 'nicht abgesandt auf Wunsch der GenStA, Dr. Reuter. Telefonat vom 5.9.', heißt es dort. Etwa dreieinhalb Monate lang ließen die Behörden Unister im Dunkeln darüber, ob ihre Leistungen rechtswidrig sind und, dass statt Umsatzsteuer eigentlich Versicherungssteuer hätte gezahlt werden müssen. Der angebliche Steuerschaden summierte sich so weiter."
Allerdings halten es Insider für ausgeschlossen, dass sich der mit GenStA Dr. Reuter gemeinte Staatsanwalt Dr. Dirk Reuter von der Generalstaatsanwaltschaft Sachsen in Dresden, beziehungsweise der "Integrierten Ermittlungseinheit Sachsen", nicht mit dem Gruppenleiter, Staatsanwalt Andreas Günthel, abgestimmt hat. Günthel war auch bei den diversen Razzien gegen Unister federführend.
Die Rede ist von ungewöhnlichen vier Razzien in nur drei Jahren. Dabei gelten Razzien, erst Recht U-Haften, gerade für junge Unternehmen, immer als existenzgefährdend. "Beide Staatsanwälte sind gleich aggressiv in ihrem Verhalten gegen Unister und ihrem Willen, das Unternehmen niederzuringen", kommentiert ein Rechtsanwalt, der das Verfahren sehr eng beobachtet, das Vorgehen.
Mit der ersten Razzia schlug die Integrierte Ermittlungseinheit Sachsen, welche von der sächsischen Staatsregierung heute auch mit Ermittlungen gegen mögliche sächsische "Volksverhetzer" beauftragt worden ist, also vor allem wohl gegen Pegida- oder Legida-Anhänger, am 11. Dezember 2012 zu:
An diesem Tag marschierte die Integrierte Ermittlungseinheit Sachsen mit über 120 Ermittlern (wie eine Kleine Anfrage der Fraktion DIE LINKE im Landtag Sachsen Wochen darauf ergeben hatte), bei Unister in Leipzig sowie weiteren Standorten ein. Heikel: An der Razzia hatte auch die Bafin teilgenommen.
Ungewöhnlich ist der Vorgang rund um die Bafin und die möglicherweise entsprechend abgestimmte Razzia allemal. Bereits vor drei Jahren hatte ein Leipziger Jura-Professor, Prof. Dr. Marc Desens, gesagt, wonach das Vorgehen der Integrierten Ermittlungseinheit Sachsen gegen Unister "unverhältnismäßig" sei.
Doch jetzt äußerte er sich in der Titelgeschichte der LVZ vom Wochenende noch kritischer. So sagte er, dass das Verhalten sowohl der Bafin wie der Staatsanwaltschaft Dresden in Bezug auf den Versicherungssteuer-Vorwurf gegen Unister möglicherweise ein ernsthafter Justizskandal sein könnte.
So zitiert die LVZ Prof. Dr. Marc Desens: "Allein die Gefahr, dass Akten verschwinden könnten, rechtfertigt nicht, den Betroffenen nicht rechtzeitig zu informieren‘'. Weiter schreibt die Leipziger Volkszeitung: "Er hält es nicht für ausgeschlossen, dass andere Gründe als eine mögliche Verdunklungsgefahr bei der Verzögerungstaktik eine Rolle spielten."
Außerdem zitiert die LVZ Prof. Desens mit den Worten: "Es wäre ein Justizskandal… wenn sich herausstellt, dass die Staatsanwaltschaft die Bafin gebeten hat, den Bescheid nicht herauszuschicken, um die vermeintliche Steuerschuld in die Höhe zu treiben und damit den Haftbefehl besser begründen und in einem etwaigen Prozess eine höhere Strafe einfordern zu können. Auch wenn dies nur ein Mitmotiv war."
Alle Hintergründe zu Unister, seiner Geschichte und der juristischen Vorwürfe finden sich in dem umfangreichen exklusiven netz-trends.de-Artikel: "Unister: Landgericht Leipzig bereitet Staatsanwälten Andreas Günthel und Dr. Dirk Reuter Schlappe".